Seit dem 7. Oktober haben Israelis nach Worten gesucht, die stark und roh genug sind, um das Trauma an diesem Tag zu vermitteln. Viele haben in den letzten Wochen israelische Generäle, Rettungskräfte und Gerichtsmediziner darüber aussagen hören, wie grausam Hamas 1.400 Menschen getötet hat.
Viele Israelis, die versuchen, die Gräuel vom 7. Oktober zu verstehen, haben begonnen, Hamas mit dem ISIS zu vergleichen. Der Hashtag “#HamasisISIS” wurde in sozialen Medien trending, als israelische Führer – einschließlich Premierminister Benjamin Netanyahu – Hamas häufig mit dem ISIS gleichgesetzt haben. Aber Experten für islamistische Bewegungen wie ich selbst sowie Terrorismusbekämpfer haben immer verstanden, dass der Vergleich falsch ist. Wie Gershon Baskin, der seit 2006 Israels Chef-Geiselverhandler mit Hamas war, mir kürzlich sagte: “Ihre terroristischen Akte ähneln dem ISIS, aber sie haben nicht die gleiche Ideologie.”
Der erste und wichtigste Unterschied ist, dass Hamas eine palästinensische nationalistische islamistische Bewegung ist. Diese verschmolzene doppelte Identität unterscheidet sie vom ISIS, der eine transnationale panislamistische Bewegung ist, die eine universelle “Umma”, oder Gemeinschaft gläubiger Muslime, in einen “islamischen Staat” ohne Bindung an irgendein nationalistisches Projekt versammeln will. Hamas hingegen hat lokalisiertere Forderungen: Sie identifiziert die “Befreiung des gesamten Palästinas” von dem, was sie als “zionistischen Feind” bezeichnet, als ihr Kernziel in ihrer Charta von 2017. Es gibt auch den unbequemen Fakt, dass der ISIS “Hamas buchstäblich als Abtrünnige betrachtet” wegen ihrer Unterstützung durch den schiitischen Iran, wie Aaron Zelin vom Washington Institute for Near East Policy kürzlich auf X veröffentlichte.
Ein zweiter wichtiger Unterschied ist ihr relativer religiöser Extremismus. Hamas ist religiös konservativ, aber sie drangsaliert oder tötet nicht rücksichtslos Nicht-Muslime im Gazastreifen einfach wegen ihres Glaubens oder ihrer religiösen Verhaltensweise. Sie toleriert Frauen, die kein Kopftuch tragen, Menschen mit Tätowierungen und Jugendliche, die amerikanische Musik hören. Christen und Kirchen koexistieren auch mit Muslimen im von Hamas kontrollierten Gazastreifen. Nichts davon wäre unter dem ISIS möglich gewesen, einer weitaus extremistischeren Organisation, die Menschen folterte und verstümmelte, um ihren Gehorsam gegenüber einer ultra-radikalen Version des Islams zu erzwingen.
Aber Vergleiche zwischen Hamas und ISIS sind auch deshalb verbreitet, weil sie politisch nützlich sein können. Die Behauptung, dass Hamas der ISIS ist, ermöglicht es israelischen Führern, Kritik an Israels Behandlung der Palästinenser zu dämpfen, einschließlich Luftangriffen im Gazastreifen seit dem 7. Oktober, die mindestens 8.000 Tote zur Folge hatten, von denen zwei Drittel Frauen und Kinder waren. Die Gleichsetzung könnte auch dabei helfen, US-Führer und die öffentliche Meinung auf Israels Seite zu ziehen. “Seit 1973 ist jeder israelische Krieg aus Israels Sicht früh beendet worden, weil die Unterstützung der USA schwand”, sagte ein ehemaliger israelischer Diplomat mir kürzlich. “Die USA weiterhin auf Israels Seite zu halten, ist hier sehr wichtig, also ist dies nützliche Hasbara [Öffentlichkeitsarbeit] für Israel.” Diese rhetorische Verdrehung hilft zu überzeugen, dass Hamas nicht nur eine Bedrohung für Israel, sondern für französische Promenaden oder amerikanische Nachtclubs ist, wie der ISIS.
Im Gegensatz zum ISIS existiert Hamas seit Jahrzehnten und ist kein Mysterium. Sie ging 1973 aus einer muslimischen Wohltätigkeitsorganisation hervor und hat einen großen sozialen Dienstleistungsflügel. Sie spaltete sich von der Palästinensischen Befreiungsorganisation infolge des Scheiterns des Oslo-Friedensprozesses ab und verfolgt Gewalt gegen Israel. Sie gewann 2006 die palästinensischen Wahlen im Gazastreifen und ist neben ihrer Rivalin Fatah im Westjordanland weiterhin eine der beiden wichtigsten politischen Kräfte in den palästinensischen Gebieten. Sie verhandelt seit Jahren auch immer wieder mit Israel über Grenzen, Gefangenenaustausche und die Verwaltung des Gazastreifens. Sie ist auch in gewissem Maße das Frankenstein-Monster von Netanyahu, dessen Politik Hamas in die Hände spielte in einem Bemühen, die palästinensischen Gebiete über Jahre hinweg zu spalten und zu schwächen.
Hamas rechtfertigt grausame Terrorakte als Widerstand gegen Israels Besatzung und hat traditionell die Traumata, die durch israelische Gewalt verursacht werden, ausgenutzt, um ihre Reihen zu vergrößern. Um neue Mitglieder zu rekrutieren, besucht sie Beerdigungen und nimmt Kontakt zu den Hinterbliebenen von Familienmitgliedern auf, die bei israelischen Luftangriffen getötet wurden. Ihre Kämpfer nutzen auch die Entbehrung, Isolation und gefängnisähnlichen Bedingungen aus, die seit 16 Jahren im Gazastreifen vorherrschen, seit Israel seine Blockade begann.
Dennoch warf Israel letzte Woche Flugblätter ab, auf denen stand “Hamas=ISIS” und die Zivilbevölkerung – die weiterhin im Streifen gefangen ist, ohne einen sicheren Ort zum Verstecken – warnte, sich “zu ergeben”. Aber dieser Ansatz wird in Gaza und der gesamten arabischen Welt wahrscheinlich auf taube Ohren stoßen, wo die meisten Hamas weiterhin als palästinensische religiös-nationalistische Widerstandsbewegung sehen, die Israels anhaltende Blockade und Besatzung unmittelbar in Frage stellt.
Israel könnte – mit Zeit, Blut und Zähigkeit – Hamas’ wichtigste politische und militärische Strukturen auseinandernehmen. Aber das Leid, das Israels Methoden – die bisher die Abschaltung von Wasser, Lebensmitteln und Treibstoff für Zivilisten beinhalteten – den Palästinensern im Gazastreifen zufügen werden, ist astronomisch. Überreste von Hamas, der Palästinensischen Islamischen Dschihad oder einer noch zu bildenden bewaffneten Bewegung können und werden diese vor sich hin gärenden Ressentiments ausnutzen, um künftige Angriffe auf Israel anzuzetteln.
Um Bedrohungen der Sicherheit wirksam zu bekämpfen, müssen israelische Führer einfache Vergleiche ablehnen und sich mit der Tatsache auseinandersetzen, dass der Kern von Hamas’ Anziehungskraft bei vielen ihrer Rekruten nicht religiöser Extremismus, sondern Zorn, Kummer und Hoffnungslosigkeit ist. Ein Hydra, der sich von verbitterten Jugendlichen ernährt, wird nicht besiegt, indem man mehr Zerstörung und Verzweiflung schafft.
Die Sicherung der Freiheit, Würde und Selbstbestimmung, die die Palästinenser seit über 75 Jahren gefordert haben, wäre der effektivste Weg, Israels langfristige Sicherheit zu gewährleisten. Leider scheint dieses Ergebnis für Millionen von Palästinensern und Israelis immer unerreichbarer zu werden.