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Ukraine aktuell: EU arbeitet unter Hochdruck an neuen Sanktionen gegen Russland

Das Wichtigste in Kürze:

  • EU bereitet neues Sanktionspaket gegen Russland vor
  • Ukrainischer Präsident Selenskyj besucht Butscha
  • Bundesnetzagentur übernimmt vorerst treuhänderisch deutsche Gazprom-Tochter
  • Polnischer Regierungschef Morawiecki fordert Ahndung von Völkermord
  • Steinmeier gibt erstmals Fehler in Russland-Politik zu

 

Die Europäische Union werde “dringend die Arbeit an weiteren Sanktionen gegen Russland vorantreiben”, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Was für Strafmaßnahmen vorbereitet werden und wann sie beschlossen werden sollen, teilte Borrell nicht mit. “Die Massaker in der Stadt Butscha und anderen ukrainischen Städten werden in die Liste der auf europäischem Boden begangenen Gräueltaten aufgenommen”, sagte Borrell. Die EU verurteile die mutmaßlich von russischen Streitkräften begangenen “Gräueltaten” aufs Schärfste. “Wir sind solidarisch mit der Ukraine und dem ukrainischen Volk in diesen düsteren Stunden”, so der Spanier.

Borrell machte zudem deutlich, dass aus Sicht der EU die russischen Behörden für die während der Besatzung verübten Grausamkeiten verantwortlich sind. Um die Täter und zuständigen Regierungsbeamten und Militärs zur Rechenschaft zu ziehen, unterstütze man uneingeschränkt die am Internationalen Strafgerichtshof eingeleiteten Ermittlungen sowie die Arbeit der Untersuchungskommission des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte, teilte er mit. Auch helfe die EU dem ukrainischen Generalstaatsanwalt und der Zivilgesellschaft bei der Sammlung und Sicherung von Beweisen für Kriegsverbrechen.

Ukraine | Leichen auf der Straße in Bucha

In den verwüsteten Straßen von Butscha lagen am 2. April Leichen von Zivilisten

Im Kiewer Vorort Butscha waren nach dem Rückzug der russischen Armee aus der ukrainischen Hauptstadtregion hunderte Leichen von Zivilisten gefunden worden. Die Gesamtzahl der Toten ist unklar. Nach Angaben des Bürgermeisters von Butscha, Anatoly Fedoruk, wurden 280 Menschen in Massengräbern bestattet, weil die Friedhöfe beschossen worden waren. Die ukrainische Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa sprach von 410 toten Zivilisten in Großraum Kiew.

40 russische Diplomaten müssen ausreisen

Die Bundesregierung hat 40 russische Diplomaten zu “unerwünschten Personen” erklärt. Außenministerin Annalena Baerbock teilte mit, die Angehörigen der russischen Botschaft hätten “hier in Deutschland jeden Tag gegen unsere Freiheit, gegen den Zusammenhalt unserer Gesellschaft gearbeitet”. Werden Diplomaten zu unerwünschten Personen erklärt, kommt dies einer Ausweisung gleich.

Die Arbeit der betroffenen russischen Diplomaten sei “eine Bedrohung für diejenigen, die bei uns Schutz suchen”, erklärte Baerbock zur Begründung. “Dies werden wir nicht weiter dulden. Das haben wir dem Botschafter Russlands heute Nachmittag mitgeteilt.” Der russische Botschafter Sergej Netschajew war von Staatssekretär Andreas Michaelis ins Auswärtige Amt einbestellt und über die Ausweisung informiert worden. Die betroffenen Personen haben fünf Tage Zeit, um Deutschland zu verlassen. Nach diesen Informationen ist bei den Betroffenen von einer Zugehörigkeit zu russischen Nachrichtendiensten auszugehen.

Zu Gräueltaten in der ukrainischen Stadt Butscha sagte Baerbock, diese Bilder “zeugen von einer unglaublichen Brutalität der russischen Führung” und derer, die ihrer Propaganda folgten, “von einem Vernichtungswillen, der über alle Grenzen hinweggeht”. Ähnliche Bilder seien noch aus vielen anderen Orten zu befürchten, die russische Truppen in der Ukraine besetzt hätten. “Dieser Unmenschlichkeit müssen wir die Stärke unserer Freiheit und unserer Menschlichkeit entgegensetzen”, so die Ministerin.

Auch Frankreich weist zahlreiche russische Diplomaten aus. Sie gefährdeten die nationale Sicherheit, teilte das Außenministerium mit. “Dieser Schritt ist Teil einer europäischen Initiative.”

Ukrainischer Präsident Selenskyj besucht Butscha

Nach Bekanntwerden eines Massakers an Zivilisten ist der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Montag in die Stadt Butscha gereist, die rund 25 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt Kiew liegt. In Butscha seien Kriegsverbrechen begangen worden, sagte Selenskyj vor Journalisten in der großenteils verwüsteten Kleinstadt. “Die Welt wird das als Genozid anerkennen.” Selenskyj trat in dunkelgrünem Pullover und einer Militärweste in Tarnmuster auf und machte sich in Begleitung von bewaffneten Sicherheitskräften ein Bild von den Zerstörungen.

Ukraine | Wolodymyr Selenskyj besucht Bucha

Präsident Selenskyj macht sich ein Bild von den Zerstörungen in Butscha

Die Frage eines Reporters, ob es nun immer noch möglich sei, mit Russland über Frieden zu verhandeln, bejahte der ukrainische Staatschef. “Die Ukraine muss Frieden bekommen”, sagte er. Zugleich betonte er, ein baldiger Verhandlungserfolg sei in Russlands Interesse: “Je länger die Russische Föderation den Gesprächsprozess verzögert, desto schlimmer wird es für sie.”

Die Bilder und Videos aus dem Ort Butscha lösten weltweit Entsetzen aus. Zahlreiche westliche Vertreter, darunter Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, sowie das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte sprachen von einem Kriegsverbrechen Russlands.

Polen fordert Bestrafung des “Völkermords”

Der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki forderte am Montag, “die blutigen Massaker, die von Russen, russischen Soldaten begangen wurden”, beim “Namen zu nennen”. Es handele sich um “Völkermord und er muss geahndet werden”. Auch Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez sprach am Montag mit Blick auf die Leichenfunde in Butscha von einem “möglichen Völkermord”.

Bachelet verlangt Untersuchung zu Leichenfunden in Butscha

UN-Menschenrechtskommissarin Michele Bachelet hat sich entsetzt über die Bilder der getöteten Zivilisten in Butscha geäußert. Die Berichte von dort und aus anderen ukrainischen Regionen weckten “schwerwiegende und beunruhigende Fragen nach möglichen Kriegsverbrechen, gravierenden Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht und schwerwiegenden Verletzungen des internationalen Völkerrechts”, erklärte sie in Genf.

Alle Leichen müssten exhumiert werden, verlangte Bachelet. Dabei gehe es um die Identifikation der Toten, damit die Angehörigen informiert werden könnten, aber auch um die Feststellung der Todesursache und die Beweissicherung. Die UN-Menschenrechtskommissarin machte sich für unabhängige Untersuchungen stark, um Wahrheit, Gerechtigkeit und Verantwortlichkeit sicherzustellen. Weiter gehe es auch um Entschädigungen für die Opfer und ihre Familien, sagte Bachelet.

Deutschland stellt dem Internationalen Strafgerichtshof zur Beweissicherung und Zeugenvernehmung vor Ort eine Million Euro zusätzlich zur Verfügung. Das teilte Außenministerin Annalena Baerbock in Berlin mit. Zudem biete die Bundesregierung Spezialisten in diesem Bereich an. Auch die unabhängige Untersuchungskommission des UN-Menschenrechtsrats werde von Deutschland mit einer Million Euro unterstützt.

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Reaktionen auf Leichenfunde in Butscha

Mehr als 400 tote Zivilisten

Zuvor hatten die Ukraine und weitere Repräsentanten des Westens Russland nach dem Fund hunderter toter Zivilisten nahe Kiew “Kriegsverbrechen” vorgeworfen. Die ukrainische Staatsanwaltschaft erklärte am Sonntag, im Großraum Kiew seien nach dem Abzug der russischen Truppen die Leichen von mehr als 400 Zivilisten entdeckt worden. Sie kündigte eine Obduktion der Leichen an, um das Verbrechen aufzuklären. Bundeskanzler Olaf Scholz verurteilte die “Verbrechen der russischen Streitkräfte” im Kiewer Vorort Butscha, an anderer Stelle sprach auch er von Kriegsverbrechen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach von einem “Völkermord”.

Das UN-Menschenrechtsbüro in Genf teilte zwar mit, es könne sich noch nicht zu den Ursachen und Umständen äußern. “Aber das, was bislang bekannt ist, wirft eindeutig ernsthafte und beunruhigende Fragen über mögliche Kriegsverbrechen und schwerwiegende Verletzungen des humanitären Völkerrechts auf”, erklärte das Büro. UN-Generalsekretär António Guterres reagierte “zutiefst schockiert” auf die “Bilder von getöteten Zivilisten in Butscha” und forderte eine “unabhängige Untersuchung”. Es sei “unerlässlich”, dass die Verantwortlichen nach einer “unabhängigen Untersuchung zur Rechenschaft” gezogen würden, erklärte Guterres nach Angaben seines Sprechers.

Infografik Karte Ukraine Butscha DE

Moskau bestreitet Gräueltaten

Der russische Außenminister Sergej Lawrow beschuldigte die Ukraine angesichts der Vorwürfe von Kriegsverbrechen, die Lage in der Stadt Butscha inszeniert zu haben. Es handele sich um einen “erfundenen Angriff” mit dem Ziel, Russland zu diskreditieren, sagte Lawrow nach einer Meldung der Nachrichtenagentur Tass. Die Bilder von Leichen seien von der Ukraine und westlichen Ländern über die sozialen Medien verbreitet worden.

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Lawrow: “Inszenierte Fake-Attacke”

Das russische Präsidialamt wies sämtliche Vorwürfe im Zusammenhang mit getöteten Zivilisten in der Stadt Butscha kategorisch zurück. Die Fakten und der zeitliche Ablauf der Vorkommnisse entsprächen nicht der ukrainischen Darstellung, sagt Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Deshalb sollten Anschuldigungen der ukrainischen Seite angezweifelt werden und internationale Politiker keine vorschnellen Schlüsse ziehen. Russische Diplomaten würden sich weiter darum bemühen, dass eine Sitzung des UN-Sicherheitsrats zu Butscha einberufen werde. Die Moskauer Regierung sprach bei der Darstellung der Ereignisse von Butscha von einer “ukrainischen Provokation”.

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Kampf gegen Fake-News über den Krieg in der Ukraine

Putin erschwert Visaverfahren für Westeuropäer

Der russische Präsident Wladimir Putin hat das erleichterte Visaverfahren für Bürger westeuropäischer Staaten eingeschränkt. Per Dekret setzte er die einfachere Visavergabe für Teilnehmer offizieller Delegationen und Journalisten aus. Das betrifft sowohl die Vergabe von Einfachvisa wie auch von Mehrfachvisa. Der Kreml begründete den Schritt mit “unfreundlichen Handlungen der EU und einer Reihe anderer Staaten”. Neben Staaten der Europäischen Union betrifft die Regelung Island, Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz.