Deutsche Nachrichtenveranstaltungen finden statt

Ukraine aktuell: Endlich raus aus Azovstal

 

Das Wichtigste in Kürze:

  • Selenskyj hofft auf Fortsetzung der Azovstal-Evakuierung
  • Ukraine will Ring russischer Agenten ausgehoben haben
  • Kiew möchte deutsche “Führungsrolle in Europa”
  • Alice Schwarzer verteidigt Offenen Brief an Kanzler Scholz
  • Bundesregierung unterstützt EU-Ölembargo gegen Russland

 

Nach zahlreichen gescheiterten Evakuierungsversuchen haben inzwischen dutzende Zivilisten das heftig umkämpfte Azov-Stahlwerk in Mariupol verlassen können. Der ukranische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach von einer “ersten Gruppe von etwa 100 Menschen”, die am Sonntag in Sicherheit gebracht worden seien. An der Aktion beteiligt sind auch die Vereinten Nationen und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK).

Er hoffe, dass an diesem Montag “alle notwendigen Bedingungen erfüllt sind, um weiterhin Menschen aus Mariupol zu evakuieren”, sagte Selenskyj in seiner täglichen Videobotschaft. “Wir werden weiterhin alles tun, um unsere Leute aus Azovstal und aus Mariupol insgesamt zu evakuieren.”

Das Verteidigungsministerium in Moskau erklärte, “dank der Initiative des russischen Präsidenten Wladimir Putin” seien 80 Zivilisten, die auf dem Werksgelände “von ukrainischen Nationalisten festgehalten” worden seien, am Sonntag in das unter russischer Kontrolle stehende Dorf Besimenne in der Region Donezk gebracht worden. Dort hätten die Menschen Verpflegung und medizinische Versorgung erhalten. Zivilisten, “die in die vom Kiewer Regime kontrollierten Gebiete wollten, wurden an Vertreter der UN und des IKRK übergeben”, so das Ministerium.

Ukraine-Krieg I Azovstal Mariupol

Belagert und weitgehend zerstört: das riesige Azovstal-Gelände

Das elf Quadratkilometer große Gelände des Stahlwerks ist heftig umkämpft. Es ist die letzte Bastion des ukrainischen Widerstands im durch russische Angriffe weitgehend zerstörten Mariupol. In dem Komplex mit weitläufigen unterirdischen Tunnelanlagen sollen noch hunderte ukrainische Soldaten und Zivilisten unter katastrophalen Bedingungen ausharren.

Das am Asowschen Meer gelegene Mariupol gilt als strategisch äußerst wichtig. Erklärtes Ziel Russlands im Ukraine-Krieg ist die Herstellung einer Landverbindung zur annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim sowie zu der von pro-russischen Separatisten kontrollierten Region Transnistrien in der Republik Moldau.

“Ein Vernichtungskrieg für die russische Armee”

Der ukrainische Staatschef Wolodymyr Selenskyj stellt den Sinn der seit zwei Monaten laufenden Invasion der russischen Armee in seinem Land dagegen in Frage. “Wie sie ihre Ziele auswählen, beweist einmal mehr, dass der Krieg gegen die Ukraine ein Vernichtungskrieg für die russische Armee ist”, erklärte Selenskyj. Neben den Angriffen auf zivile Objekte und Wohngebiete würden inzwischen Getreidelager und landwirtschaftliche Betriebe vernichtet.

Ukraine-Konflikt, Wolodymyr Selenskyj

Verbreitet täglich Videobotschaften: Wolodymyr Selenskyj

“Was könnte Russlands strategischer Erfolg in diesem Krieg sein? Ehrlich gesagt, weiß ich es nicht”, sagte der ukrainische Präsident. Das zerstörte Leben der Menschen und verbranntes oder gestohlenes Eigentum brächten Russland nichts. “Es wird nur die Toxizität des russischen Staates und die Zahl derer in der Welt erhöhen, die daran arbeiten, Russland zu isolieren.”

Kiew: Spion in ukrainischem Generalstab entlarvt

Die Sicherheitsbehörden der Ukraine haben nach eigener Darstellung einen Ring russischer Agenten ausgehoben. Einer der Spione habe sogar im ukrainischen Generalstab gearbeitet, berichtete Präsident Selenskyjs Berater Olexij Arestowytsch. Zur Zahl der Mitglieder des Spionage-Rings machte er keine Angaben, nannte jedoch eines ihrer angeblichen Ziele. “Diese Genossen sollten ein Passagierflugzeug über Russland oder Belarus abschießen und anschließend die Ukraine dafür verantwortlich machen”, sagte Arestowytsch.

Kuleba: Deutschland muss in Europa vorangehen

Die Regierung in Kiew stuft die deutsche Reaktion auf den russischen Angriffskrieg im Vergleich zu anderen europäischen Ländern als eher zögerlich ein. Außenminister Dmytro Kuleba sagte in einem Interview der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” (Montagsausgabe), Deutschland sollte “gerade in Fragen der Ostpolitik die Führungsrolle in Europa übernehmen”. Das gelte etwa für Waffenlieferungen an die Ukraine, Sanktionen gegen Russland und eine Gewährung des EU-Kandidatenstatus für sein Land. Die Ukraine hoffe insgesamt auf “mutige, visionäre Entscheidungen” der Bundesregierung.

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Kanzler Scholz auf Kundgebung zum 1. Mai: “Wir werden die Ukraine unterstützen”

Kuleba warnte, sollte der russische Präsident Wladimir Putin den Krieg gewinnen, “wird Europa über Jahrzehnte keine Stabilität und Sicherheit genießen”. Mit einem Sieg der Ukraine dagegen werde Europa neu erfunden und gestärkt in die Zukunft gehen.

In Russland sei “das Regime eines Verrückten am Ruder”, meinte der ukrainische Außenminister, der sich zugleich dafür aussprach, Moskaus nukleare Drohgebärden nicht zu ernst zu nehmen. Atomwaffen seien für den russischen Präsidenten Wladimir Putin “am wirksamsten, ehe sie zum Einsatz kommen”, erläuterte Kuleba. “Drohen ist wirksamer, als die Waffen einzusetzen.”

Schwarzer: “Sehr schwierige Grenzziehung”

Die deutsche Publizistin und Feministin Alice Schwarzer hat Kritik an dem Offenen Brief an Kanzler Olaf Scholz zurückgewiesen, in dem sie und andere Prominente vor der Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine warnen. “Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich ernsthaft von der Gefahr eines neuen Weltkriegs überzeugt”, sagte Schwarzer in einer Talksendung von “Bild”-TV. Zwar sei Hilfe für die Ukrainer bei der Selbstverteidigung richtig, doch gehe es “um die sehr schwierige Grenzziehung zwischen Unterstützung zur Verteidigung und Lieferung von Waffen, die von Herrn Putin als Angriffswaffen verstanden werden können”. 

Alice Schwarzer

Eine der bekanntesten Feministinnen Europas: Alice Schwarzer

Bis Montagmorgen wurde der Offene Brief von rund 140.000 Menschen digital unterzeichnet. Nach seiner Veröffentlichung am Freitag war aber auch rasch breite Ablehnung laut geworden.

Lawrow kritisiert Vorherrschaft Washingtons

Die NATO und die EU haben sich nach Ansicht des russischen Außenministers Sergej Lawrow damit abgefunden, dass “ihr Hausherr in Washington sitzt”. “Und in Washington haben sie beschlossen, dass die Welt nun monopolar sein muss, davon reden sie ständig.” Das erklärte Lawrow in einem Interview der italienischen TV-Gesellschaft Mediaset, das auch von der russischen Staatsagentur Tass verbreitet wurde. Darin unterstellte er sowohl den USA als auch Kanada, dass sie für die Ausbildung “neonazistischer Unterabteilungen” verantwortlich seien, die ihren Weg in die Reihen der ukrainischen Armee gefunden hätten. Publikationen bestätigten dies, so Lawrow. Auf welche er sich bezog, sagte der Minister jedoch nicht.

Sergej Lawrow

Sergej Lawrow (vergangene Woche in Moskau)

Importstopp für russisches Öl rückt wohl näher

Deutschland dringt nach Angaben von Außenministerin Annalena Baerbock darauf, dass im sechsten EU-Sanktionspaket auch ein Ölembargo gegen Russland verhängt wird. Man habe vor einigen Wochen noch gewusst, dass man sofortige Energiesanktionen keinen Monat hätte durchhalten können, sagte die Grünen-Politikerin im Ersten Deutschen Fernsehen. Aber nun habe man sich vorbereitet, weil man Sanktionen gegen Russland im Zweifel auch jahrelang durchhalten können müsse. Die Sanktionen könnten erst wieder aufgehoben werden, wenn Russland seine Truppen vollständig aus der Ukraine abgezogen habe.

Infografik Welche Teile der Ukraine werden von russischen Truppen kontrolliert DE

Der neue Sanktionstext könnte den EU-Mitgliedstaaten bereits am Mittwoch vorgelegt werden, verlautete aus Diplomatenkreisen in Brüssel. Um noch skeptische Mitgliedstaaten zu überzeugen, ist demnach eine schrittweise Umsetzung des Importstopps vorgesehen. So soll den EU-Ländern sechs bis acht Monate Zeit gegeben werden, ihre Bezugsquellen für Öl zu diversifizieren.

Als potenzieller Blockierer eines nötigen einstimmigen Sanktionsbeschlusses gilt nach dem Einlenken Berlins vor allem das in hohem Maße von russischem Öl abhängige Ungarn. Regierungschef Viktor Orban, dem eine große Nähe zum Kreml nachgesagt wird, hatte nach seiner Wiederwahl Anfang April ein Veto gegen jede Form von Energieembargo angekündigt. Ein solches Embargo sei kontraproduktiv, betonte Orbans Kabinettschef Gergely Gulyas am Sonntag im staatlichen Rundfunk. Die EU-Staaten müssten “zur Vernunft kommen”.

Russland exportiert bisher rund zwei Drittel seines Öls in die Europäische Union. Befürworter eines Embargos argumentieren, dass dem Kreml durch einen solchen Schritt eine wichtige Einnahmequelle abhanden käme, die er zur Finanzierung seines Kriegs in der Ukraine benötigt.

Deutschland, Schwedt | Erdölraffinerie PCK

Deutsche Lagerstätte für russisches Erdöl in Schwedt

Die westlichen Sanktionen haben nach Baerbocks Worten auch den Sinn, Russlands Wirtschaft so zu schwächen, dass es keinen weiteren Krieg beginnen kann. Die Strafmaßnahmen sorgten dafür, “dass ein weiteres militärisches Vorgehen in anderen Regionen aus russischer Kraft allein in den nächsten Jahren nicht möglich ist”.

Presse: BKA warnt CDU-Chef vor Kiew-Visite

Das Bundeskriminalamt (BKA) soll den deutschen Oppositionsführer Friedrich Merz “ausdrücklich” von seiner geplanten Reise in die Ukraine abgeraten haben. Der CDU-Vorsitzende sei gebeten worden, seinen Besuch in der Hauptstadt Kiew zu verschieben, erfuhr der Berliner “Tagesspiegel”. Merz habe die deutschen Sicherheitsbehörden erst am Freitag über seine Pläne informiert. Angeblich will er in der Nacht zum Dienstag reisen. Das BKA soll betont haben, es brauche für eine solche Reise in ein Kriegsgebiet etwas mehr Vorlauf. Zuletzt hatte es während des Besuchs von UN-Generalsekretär António Guterres Raketenangriffe auf Kiew gegeben.

Deutschland | Friedrich Merz im Bundestag

Ist auch Chef der Unionsfraktion: Friedrich Merz im Bundestag (Archiv)

Innenministerin hält Notvorräte für sinnvoll

Vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges rät Bundesinnenministerin Nancy Faeser den Bürgerinnen und Bürgen in Deutschland zur Vorsorge für den Krisenfall. “Denken Sie zum Beispiel an Cyberattacken auf kritische Infrastruktur. Wenn tatsächlich mal länger der Strom ausfällt oder das tägliche Leben auf andere Art und Weise eingeschränkt wird, dann ist es auf jeden Fall sinnvoll, einen Notvorrat zu Hause zu haben”, sagte die SPD-Politikerin dem “Handelsblatt”. Faeser verwies in dem Zusammenhang auf eine vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe veröffentlichte Liste.

wa/rb (dpa, afp, rtr)

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.