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Ukraine aktuell: Selenskyj lenkt Blick auf Borodjanka

 

Das Wichtigste in Kürze:

  • Selenskyj prangert Kriegsgräuel in Borodjanka an 
  • USA: Kriegsausgang ist “eine offene Frage”
  • Russland nennt eigene Verluste eine “Tragödie”
  • Ukraine-Flüchtlinge bekommen Grundsicherung in Deutschland
  • Friedensnobelpreisträger Muratow mit Flüssigkeit attackiert

 

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sieht weitere Gräueltaten russischer Truppen in der Ukraine. In der Kleinstadt Borodjanka bei Kiew, wo Aufräumarbeiten liefen und Rettungskräfte Trümmer beseitigten, sei es “viel schrecklicher” als in Butscha, sagte Selenskyj in einer neuen Videobotschaft. “Es gibt dort noch mehr Opfer der russischen Besatzer.”  Konkrete Details nannte der Staatschef nicht. Der Kiewer Vorort Butscha war in den vergangenen Tagen zum Symbol für die Schrecken des Ukraine-Krieges geworden.

Am Donnerstag hatte der ukrainische Innenminister Denys Monastyrskyj gesagt, Borodjanka sei eine der am stärksten zerstörten Städte in der Region Kiew. Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa berichtete über den Fund dutzender Leichen in Wohngebieten des Ortes.

Ukraine-Krieg - Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa

Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa

“Allein aus den Trümmern von zwei Wohnblöcken wurden 26 Leichen geborgen”, erklärte Wenediktowa auf Facebook. Wie viele weitere Tote noch gefunden werden, sei “unmöglich vorherzusagen”. Die Generalstaatsanwältin warf der russischen Armee erneut Kriegsverbrechen vor: Beweise dafür “finden sich auf Schritt und Tritt.” In Borodjanka gebe es keine militärischen Einrichtungen, “ihr einziges Ziel war die Zivilbevölkerung”. Russland bestreitet entsprechende Angriffe.

Pentagon-Chef: Putin “hat sich geirrt”

Der russische Staatschef Wladimir Putin hat nach Einschätzung der US-Regierung sein Ziel der Eroberung der ukrainischen Hauptstadt Kiew aufgegeben. “Putin dachte, er könne sehr schnell das Land Ukraine übernehmen, sehr schnell diese Hauptstadt einnehmen. Er hat sich geirrt”, sagte Verteidigungsminister Lloyd Austin bei einer Anhörung im Kongress. Er gehe davon aus, dass Putin sich jetzt auf den Süden und Osten des Landes konzentriere, führte Austin weiter aus

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Lloyd Austin und Mark Milley

Minister Lloyd Austin (im Hintergrund) und General Mark Milley

“Der erste Teil des Krieges” sei aus ukrainischer Sicht “wahrscheinlich erfolgreich geführt worden”, meinte Generalstabschef Mark Milley bei derselben Anhörung in Washington. “Aber im Südosten, in der Donbass-Region, wo die Russen ihre Kräfte bündeln und ihren Angriff fortsetzen wollen, steht noch eine bedeutende Schlacht bevor.” Er war der Ansicht, es sei “im Moment eine offene Frage, wie das Ganze ausgeht”. 

Kreml räumt massive Verluste ein

Sechs Wochen nach Beginn des Kriegs gegen die Ukraine beklagt Russland zahlreiche Tote in den eigenen Reihen. “Wir haben bedeutende Verluste, das ist eine gewaltige Tragödie für uns”, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow dem britischen Fernsehsender Sky News. “Es ist eine sehr ernste Operation mit schwerwiegenden Folgen.”

Ukraine-Krieg - Irpin

Zerstörter russischer Panzer in Irpin

Zuletzt hatte Russland von 1351 getöteten Soldaten gesprochen. Die Ukraine schätzt hingegen, dass schon knapp 19.000 russische Soldaten seit Kriegsbeginn am 24. Februar ums Leben kamen. Überprüfbar ist das nicht.

“Es muss ein Waffenstillstand her”

Bundeskanzler Olaf Scholz hat den russischen Präsidenten Wladimir Putin erneut zu einem Ende der Angriffe in der Ukraine aufgefordert. “Dieser Krieg muss sofort beendet werden. Es muss ein Waffenstillstand her, und Russland muss seine Truppen aus der Ukraine zurückziehen”, erklärte der Kanzler in Berlin. Es gebe dramatische und furchtbare Zerstörungen in der Ukraine. Bei den kriegerischen Handlungen komme es zu Kriegsverbrechen, die nicht toleriert werden könnten und für die die Verantwortlichen noch zur Rechenschaft gezogen würden. Millionen Menschen seien in und aus der Ukraine auf der Flucht. Putin zerstöre nicht nur die Ukraine, “sondern auch die Zukunft des eigenen Landes”.

Bund beteiligt sich an Flüchtlingskosten

Ukraine-Flüchtlinge in Deutschland sollen ab dem 1. Juni eine staatliche Grundsicherung erhalten, wie Scholz weiter mitteilte. Die Kosten dafür trägt die Bundesregierung; zusätzlich zahlt sie den 16 Bundesländern dieses Jahr eine Pauschale von zwei Milliarden Euro für die Unterbringung und Integration der geflohenen Menschen. Die Aufnahme ins Grundsicherungssystem werde den Flüchtlingen den Aufenthalt in Deutschland erleichtern, sagte Scholz. Sie hätten damit zum Beispiel Zugang zu Jobcentern.

Es könne sein, dass der “heiße Krieg” nicht lange weitergehe und viele Menschen, die Schutz in Deutschland und Europa gefunden hätten, zurückkehrten, meinte der Kanzler. “Es kann aber auch ganz anders kommen. Und niemand von uns, überhaupt niemand, ist gegenwärtig in der Lage, darüber eine realistische Vorhersage zu machen. Deshalb müssen wir uns für alle Fälle wappnen.” Bis Donnerstag hatte die Bundespolizei insgesamt exakt 316.453 Flüchtlinge aus der Ukraine registriert.

Ukraine-Krieg - Flüchtlinge in Flüchtlingsunterkunft

Ukraine-Flüchtlinge in einer Unterkunft in Niedersachsen

Das fünfte Sanktionspaket der Europäischen Union gegen Russland nannte Scholz einen “großen entscheidenden weiteren Schritt”. Die 27 EU-Staaten hatten am Donnerstagabend das von der EU-Kommission vorgeschlagene Kohle-Embargo gebilligt. Es sieht zudem die Schließung europäischer Häfen für russische Schiffe sowie weitere Strafmaßnahmen gegen russische Banken vor. Mit dem Sanktionspaket wird auch die Ausfuhr von bestimmten Halbleitern, Computern und anderer Ausrüstung aus der EU nach Russland untersagt. Die Gruppe der führenden Industrienationen (G7) kündigte ebenfalls neue Sanktionen gegen Russland an.

Solidaritätsbesuch in der Ukraine

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wird an diesem Freitag in der ukrainischen Hauptstadt Kiew erwartet, wo sie unter anderem Präsident Selenskyj treffen wird. Sie wird von einer Delegation begleitet, der auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell angehört.

EU Ursula von der Leyen und Josep Borrell, PK zum Ukraine Krieg

Ursula von der Leyen und Josep Borrell (Archiv)

Von der Leyen ist die erste westliche Spitzenpolitikerin, die seit Bekanntwerden der Kriegsgräuel in Butscha die Ukraine besucht. Mitte März waren allerdings schon die Regierungschefs Polens, Sloweniens und Tschechiens dort, um ein Zeichen der Solidarität zu setzen. Vergangene Woche reiste EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola nach Kiew.

EU will Kiew weitere Waffen finanzieren

Die Ukraine kann auf weitere EU-finanzierte Waffenlieferungen hoffen. Wie EU-Ratspräsident Charles Michel mitteilte, hat der Außenbeauftragte Borrell den 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union vorgeschlagen, zusätzliche 500 Millionen Euro zur Unterstützung der ukrainischen Streitkräfte in ihrem Abwehrkampf gegen die russische Armee bereitzustellen. Damit würden sich die zur Verfügung stehenden Mittel auf 1,5 Milliarden Euro erhöhen.

“Russland hat im Menschenrechtsrat nichts zu suchen”

US-Präsident Joe Biden hat die Suspendierung der Mitgliedschaft Russlands im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen begrüßt. “Die Vereinigten Staaten haben eng mit unseren Verbündeten und Partnern auf der ganzen Welt zusammengearbeitet, um diese Abstimmung voranzutreiben”, sagte Biden.

“Die russischen Streitkräfte begehen Kriegsverbrechen. Russland hat im Menschenrechtsrat nichts zu suchen”, betonte der amerikanische Präsident. Nach der “historischen Abstimmung” in der UN-Vollversammlung könne Russland im Menschenrechtsrat keine “Desinformation” mehr verbreiten. Russland hatte die Mitgliedschaft in dem UN-Gremium nach dem Votum am Donnerstag selbst für vorzeitig beendet erklärt.

Ukraine-Krieg - UN-Menschenrechtsrat

Abstimmung am Donnerstag in der UN-Vollversammlung

Attacke auf Friedensnobelpreisträger

Der russische Friedensnobelpreisträger und Journalist Dmitri Muratow ist nach eigener Darstellung in einem Zug von einem unbekannten Täter angegriffen und mit roter Farbe überschüttet worden. Die kremlkritische Zeitung “Nowaja Gaseta” veröffentlichte auf Telegram ein Foto ihres Chefredakteurs, dessen Gesicht, Oberkörper und Arme mit roter Ölfarbe überdeckt waren. Der Angreifer habe gerufen, “Muratow, das ist für unsere Jungs”, berichtete der 60-Jährige.

Friedensnobelpreisträger mit roter Farbe im Zug attackiert

Dmitri Muratow nach der Attacke

Die “Nowaja Gaseta” hatte Ende März ihr Erscheinen für die Dauer des russischen Militäreinsatzes in der Ukraine ausgesetzt. Das Blatt war von der Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor mehrfach wegen ihrer Berichterstattung über den Ukraine-Krieg verwarnt worden. Muratow hatte den Nobelpreis im vergangenen Jahr wegen seiner Verdienste um die Meinungsfreiheit erhalten.

jj/AR/wa/rb (afp, dpa, rtr)

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.