Das Wichtigste in Kürze:
- USA sammeln Beweise für Kriegsverbrechen in der Ukraine
- Russlands UN-Botschafter: Butscha-Gräuel wurden “inszeniert”
- Mariupol ist laut Bürgermeister fast vollständig zerstört
- Präsident Putin setzt vereinfachte Visaregelungen aus
- Washington genehmigt F-16-Verkauf an Bulgarien
Die Vereinigten Staaten tragen Beweismaterial zusammen, um den russischen Präsidenten Wladimir Putin wegen Kriegsverbrechen vor den Internationalen Strafgerichtshof oder ein anderes Gericht zu bringen. Dazu gehörten Informationen, die die USA und befreundete Länder von Geheimdiensten hätten, Beobachtungen der Ukrainer im Land selbst, Erkenntnisse von internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen sowie Interviews, die weltweit von unabhängigen Medien geführt worden seien, erklärte der Nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan. Zuvor hatte US-Präsident Joe Biden ein Kriegsverbrechertribunal gefordert und Putin als Kriegsverbrecher bezeichnet. “Ihr habt gesehen, was in Butscha passiert ist”, sagte Biden vor Journalisten im Weißen Haus in Washington. “Das rechtfertigt es – er ist ein Kriegsverbrecher.”
In Butscha seien mindestens 300 Zivilisten getötet worden, in Borodjanka und anderen Städten könne die Zahl noch höher sein, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in einer Videobotschaft, die in der Nacht zum Dienstag veröffentlicht wurde. “Wir sind an einer möglichst vollständigen und transparenten Untersuchung interessiert.” Dazu arbeite man unter anderem mit der Europäischen Union und dem Internationalen Strafgerichtshof zusammen. Selenskyj lud Journalisten aus der ganzen Welt ein, in zerstörte ukrainische Orte zu reisen. “Lassen Sie die Welt sehen, was Russland getan hat!” Die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft hat nach eigenen Angaben bereits mehr als 7000 Meldungen über russische Kriegsverbrechen in der Region um Kiew registriert.
Russland bestreitet Kriegsgräuel
Der russische UN-Botschafter Wassili Nebensja hat die Gräueltaten an Bewohnern von Butscha als “inszeniert” bezeichnet. Es handele sich dabei um eine “abscheuliche Provokation des Regimes in Kiew”, sagte Nebensja bei einer Pressekonferenz in New York. Russlands Militär habe das, wofür es beschuldigt werde, nicht getan, es habe keine Gräueltaten gegen Zivilisten in der Ukraine begangen. “Das ist nicht der Fall, das war nicht der Fall, und das wird nie der Fall sein”, unterstrich Nebensja. Für all das habe Russland Beweise, die es sobald wie möglich dem UN-Sicherheitsrat vorlegen werde.

Russlands UN-Botschafter Wassili Nebensja in New York
“Traurige Nachricht” aus Mariupol
Nach wochenlanger Belagerung durch russische Streitkräfte ist die ukrainische Hafenstadt Mariupol nach Angaben des Bürgermeisters fast vollständig zerstört. “Die traurige Nachricht ist, dass 90 Prozent der Infrastruktur in der Stadt zerstört sind und 40 Prozent nicht wiederhergestellt werden können”, erläuterte Wadym Boitschenko. Rund 130.000 Menschen seien nach wie vor in der Stadt am Asowschen Meer eingeschlossen. Vor Beginn des Krieges lebten dort etwa 500.000 Menschen. “Die russische Armee zerstört Mariupol auf brutale Weise”, sagte Boitschenko. Die meisten Angriffe kämen “vom Meer her”, wo russische Schiffe lägen.
Russland forderte die ukrainischen Streitkräfte in Mariupol erneut auf, die Waffen niederzulegen. Die Bataillone der ukrainischen Armee und die ausländischen Söldner sollten an diesem Dienstagmorgen über einen Korridor sicher die Stadt in Richtung der von Kiew kontrollierten Gebiete verlassen können, sagte Generalmajor Michail Misinzew vom russischen Verteidigungsministerium. “Allen, die ihre Waffen niederlegen, wird das Leben garantiert.” An diesem Dienstag solle auch erneut versucht werden, Zivilisten und ausländische Bürger aus Mariupol in Sicherheit zu bringen.

Zerstörung in Mariupol
“Russland positioniert Streitkräfte neu”
Die US-Regierung rechnet mit einem militärischen Umsteuern Russlands im Ukraine-Krieg. Man gehe davon aus, dass Russland angesichts der bisherigen militärischen Misserfolge seine Ziele überarbeite, hieß es aus Washington. “Russland positioniert seine Streitkräfte neu, um seine Offensivoperationen auf die Ost- und Teile der Südukraine zu konzentrieren.” Moskau könne dann jeden taktischen Erfolg bei der neuen Strategie nutzen, um ein Narrativ des Fortschritts zu propagieren und frühere militärische Misserfolge herunterzuspielen, meinte US-Sicherheitsberater Jake Sullivan. Die nächste Phase des Krieges dürfte weniger in Wochen, sondern eher “in Monaten oder länger” gemessen werden.

Russische Soldaten, erkennbar am “Z”-Symbol
Die russischen Streitkräfte bereiten nach ukrainischen Angaben einen “massiven Angriff” auf die Truppen in der östlichen Region Luhansk vor. Es werde Ausrüstung und Treibstoff gebracht sowie die Truppen verstärkt, teilte der örtliche Gouverneur Serhij Gaidaj mit. “Die Bombardements werden immer dichter.” Gaigaj forderte die Bewohner auf, die Region so schnell wie möglich zu verlassen. “Wartet nicht darauf, dass eure Häuser zerbombt werden!”

Klitschko warnt Rückkehr-Willige
Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko hat geflohene Bewohner der Vororte dazu aufgerufen, mit der Rückkehr “noch mindestens eine Woche” zu warten. “Zunächst gilt in mehreren Bezirken des Kiewer Gebiets eine Ausgangssperre rund um die Uhr”, sagte Klitschko. Außerdem hätten die Behörden nach dem Abzug russischer Truppen “zahlreiche Sprengsätze gefunden, die eine große Gefahr darstellen können”. Klitschko warnte auch vor weiteren Raketenangriffen. “Deshalb bitte ich die Menschen, ein wenig zu warten und nicht zurückzukommen.” Die russischen Streitkräfte hatten vergangene Woche angekündigt, ihre Aktivitäten rund um die Hauptstadt massiv zu reduzieren. Die Ukraine warnt hingegen, dass es sich um ein Täuschungsmanöver handeln könnte.
Putin erschwert Visaverfahren
Als Vergeltung für die wegen des Ukraine-Kriegs verhängten Sanktionen hat Russlands Präsident Wladimir Putin vereinfachte Visaregelungen für Beamte und Journalisten aus “unfreundlichen” europäischen Staaten ausgesetzt. Das Dekret “über Vergeltungsmaßnahmen im Zusammenhang mit unfreundlichen Handlungen ausländischer Staaten” basiert auf der Notwendigkeit, “dringende Maßnahmen als Reaktion zu ergreifen”, heißt es in einer vom Kreml veröffentlichten Erklärung.

Staatschef Wladimir Putin während einer Videokonferenz (Archiv)
Russland hatte im vergangenen Monat die Liste der “unfreundlichen” Länder um alle 27 EU-Staaten, die USA und Großbritannien erweitert. Die Europäische Union hat unter anderem gegen eine Reihe von russischen Politikern, darunter Putin und Außenminister Sergej Lawrow, Strafmaßnahmen verhängt, ebenso gegen die russischen Staatssender RT und Sputnik, deren Ausstrahlung hierzulande verboten wurde.
Briten sehen Russland nicht umzingelt
Großbritannien hat Behauptungen des russischen Präsidenten Wladimir Putin zurückgewiesen, wonach die NATO eine Bedrohung für Russland darstelle. Sie sei lediglich ein Verteidigungsbündnis und suche keine Konfrontation, twitterte das britische Verteidigungsministerium. Anders als von Putin behauptet, werde Russland auch nicht von dem Militärbündnis umzingelt. Tatsächlich mache der Anteil der Grenzen zu NATO-Staaten nur sechs Prozent der russischen Gesamtgrenze aus, heißt es in einem Video des Ministeriums: Russland habe Grenzen von über 20.000 Kilometern Länge, darunter nur 1215 Kilometer zu Staaten der Militärallianz. Nur fünf der 14 russischen Nachbarstaaten seien NATO-Länder – nämlich die baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland sowie Polen und Norwegen.
Bulgarien erhält F-16-Kampfflugzeuge
Die USA haben inmitten des Ukraine-Kriegs den Verkauf von acht Kampfjets vom Typ F-16 an Bulgarien genehmigt. Diese würden Bulgariens Fähigkeit verbessern, auf “derzeitige und künftige Bedrohungen” zu reagieren, erklärte die für Rüstungsgeschäfte zuständige US-Behörde. Die geplante Lieferung der F-16-Flieger und von Munition hat einen Umfang von umgerechnet rund 1,5 Milliarden Euro.
wa/ust (dpa, afp, rtr)
Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.