Das Wichtigste in Kürze:
- UN: Untersuchung der Gräueltaten in Butscha
- Selenskyj: Merkel und Sarkozy sollen nach Butscha kommen
- Weitere Kämpfe in allen Landesteilen der Ukraine
- Scholz: Weitere Sanktionen gegen Russland werden kommen
- Straftaten in Deutschland mit Kriegsbezug
Die Ukraine und der Westen haben Russland nach dem Fund hunderter toter Zivilisten nahe Kiew “Kriegsverbrechen” vorgeworfen. Die ukrainische Staatsanwaltschaft erklärte am Sonntag, im Großraum Kiew seien nach dem Abzug der russischen Truppen die Leichen von mehr als 400 Zivilisten entdeckt worden. Bundeskanzler Olaf Scholz verurteilte die “Verbrechen der russischen Streitkräfte” im Kiewer Vorort Butscha, an anderer Stelle sprach auch er von Kriegsverbrechen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach von einem “Völkermord”.
Das UN-Menschenrechtsbüro in Genf teilte zwar mit, es könne sich noch nicht zu den Ursachen und Umständen äußern. “Aber das, was bislang bekannt ist, wirft eindeutig ernsthafte und beunruhigende Fragen über mögliche Kriegsverbrechen und schwerwiegende Verletzungen des humanitären Völkerrechts auf”, erklärte das Büro. UN-Generalsekretär António Guterres reagierte “zutiefst schockiert” auf die “Bilder von getöteten Zivilisten in Butscha” und forderte eine “unabhängige Untersuchung”. Es sei “unerlässlich”, dass die Verantwortlichen nach einer “unabhängigen Untersuchung zur Rechenschaft” gezogen würden, erklärte Guterres nach Angaben seines Sprechers.
Russland bestreitet jegliche Verantwortung und will wegen des Vorwurfs Kriegsverbrechen in Butscha begangen zu haben, für diesen Montag eine Sitzung des UN-Sicherheitsrats einberufen. Das schreibt der Vertreter Russlands bei den UN, Dmitri Polanski, auf der Plattform Telegram. Bei der Sitzung solle über die “Provokation von ukrainischen Radikalen” diskutiert werden. Moskau dementiert die Tötung von Zivilisten durch russische Soldaten in Butscha. Der Kreml wirft Kiew vor, die Aufnahmen der Leichen inszeniert zu haben.

Wolodymyr Selenskyj – fast jede Nacht wendet er sich per Video an seine Landsleute
Selenskyjs Einladung
Präsident Selenskyj hat die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel zu einer Reise in die Stadt Butscha eingeladen. Dort könnten sich Merkel – ebenso wie der ehemalige französische Präsident Nicolas Sarkozy – ein Bild von ihrer gescheiterten Russland-Politik der vergangenen Jahre machen, sagte Selenskyj am Sonntagabend in einer Videobotschaft. Im Jahr 2008 hätten die NATO-Staaten, darunter Deutschland, der Ukraine eine Aufnahme in Aussicht gestellt, dann aber aus Rücksicht auf Russland einen Rückzieher gemacht. Merkel war von 2005 bis 2021 Bundeskanzlerin.
Weitere Kämpfe
In der von Russland besetzten südukrainischen Stadt Cherson und in der südlichen Hafenstadt Odessa wurden laut lokaler Medien und einem Zeugen der Nachrichtenagentur Reuters eine Reihe von Explosionen gehört. Ähnliches gilt auch für die westukrainischen Stadt Ternopil, wie der dortige Bürgermeister der Zeitung “Ukrajinska Prawda” berichtete.

Mariupol liegt schon längst in Schutt und Asche (Bild vom 1.4.2022)
Der britische Militärgeheimdienst erklärte, in Mariupol würden die schweren Kämpfe fortgesetzt. Demnach sollen russische Streitkräfte weiter versuchen, die südöstliche Hafenstadt einzunehmen. Die Stadt ist nach Ansicht der britischen Militäraufklärung “höchstwahrscheinlich” ein Schlüsselziel der russischen Invasion in die Ukraine. Mit der Einnahme der weiterhin schwer umkämpften Stadt könnte eine direkte Landverbindung zwischen Russland und der besetzten Halbinsel Krim hergestellt werden, Russlands bisher einzige Verbindung vom Festland zur Halbinsel ist eine Brücke über die Meerenge von Kertsch.
Bei einem russischen Angriff auf ein Wohngebiet in Charkiw im Nordosten der Ukraine sind nach ukrainischen Angaben sieben Menschen getötet und 34 weitere verletzt worden. Unter den Verletzten seien auch drei Kinder, teilte die örtliche Staatsanwaltschaft am Sonntag auf Telegram mit. Die russischen Truppen hätten am Sonntagabend ein Wohnviertel beschossen und dabei zehn Häuser und ein Bus-Depot beschädigt.
In der östlichen Region Donezk wurden bei russischen Angriffen sechs Menschen getötet und ein weiterer verletzt, wie der Leiter der regionalen Militärverwaltung Pawel Kirilenko auf Telegramm mitteilte. Nach dem Rückzug aus der Region um die Hauptstadt Kiew konzentrieren sich die russischen Truppen nach Angaben der ukrainischen Regierung auf den Süden und Osten des Landes.
Russische Truppen sollen damit begonnen haben, sich aus der ostukrainischen Region Sumy zurückzuziehen. Es sei aber noch zu früh, um von einer Befreiung der Region zu sprechen, sagte der Chef der Gebietsverwaltung von Sumy der Agentur Unian zufolge in der Nacht zu Montag in einer Videobotschaft.
Neue Sanktionen
Bundeskanzler Olaf Scholz kündigt wegen der in Butscha aufgefundenen toten Zivilisten weitere Sanktionen an. “Wir werden im Kreis der Verbündeten in den nächsten Tagen weitere Maßnahmen beschließen”, sagt er. “Putin und seine Unterstützer werden die Folgen spüren.” Deutschland werde der Ukraine weiter Waffen liefern, damit diese sich gegen Russland verteidigen könne.
Noch steht nicht fest, welche neuen Sanktionen verhängt werden sollen, doch in Deutschland wird erneut über die Frage der Energielieferungen aus Russland diskutiert. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck plädiert zwar für eine rasche Verschärfung der Sanktionen gegen Russland, lehnt einen von Deutschland selbst verhängten Importstopp etwa für russische Gas- und Öllieferungen aber weiter ab. Dies machte der Grünen-Politiker am Sonntagabend in einem Fernsehinterview deutlich. “Wir verfolgen ja eine Strategie, uns unabhängig von russischem Gas, von Kohle, vom Öl zu machen, nur eben nicht sofort”, sagte Habeck.
Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht hatte zuvor im TV erklärt, nach den Vorgängen in Butscha, bei denen nach ukrainischen Angaben hunderte Menschen durch russische Soldaten getötet wurden, müsse auch das Thema Energielieferungen Gesprächsgegenstand weiterer Konsequenzen sein. Auch im Kreise der EU-Minister müsse über einen möglichen Stopp von Gaslieferungen gesprochen werden.
Straftaten in Deutschland mit Kriegsbezug
Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine sind in Deutschland in mehr als 400 Fällen Menschen beider Staaten Opfer kriegsbezogener Straftaten geworden. Unter 308 anti-russischen Straftaten waren 15 Gewalttaten, wie Bundesinnenministerin Nancy Faeser der “Neuen Osnabrücker Zeitung” sagte. Aber auch Ukrainer werden ihr zufolge immer häufiger angegriffen: 109 anti-ukrainische Straftaten wurden registriert, davon 13 Gewalttaten. Die Bandbreite reicht demnach von vornehmlich Sachbeschädigungen über Beleidigungen und Bedrohungen bis hin zu Körperverletzungen.
Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.
fab/cw (dpa, rtr, afp)